
Am Samstag-Nachmittag bin ich in der Schule. Für den Abend haben wir uns verabredet und wollen in die Jazzbar gehen, von der Sophie gehört hatte. Lily fragt mich spontan, ob wir mit ihrem Onkel essen gehen und dieses Treffen wird eine typisch chinesische Angelegenheit. Wir sitzen in einem sehr schönen Restaurant, in einem sehr geschmackvoll eingerichteten Einzelzimmer. Der Onkel kommt mit zwei Kollegen von der Uni und sie bestellen massenweise Essen, viel zu viel. Wie immer... Und, sie trinken, was das Zeug hält. Auch das ist ja nichts Neues. Ich habe eigentlich das Gefühl, daß ich genauso viel Bier trinke wie sie, nur nicht im Hauruck-"auf-ex"-Verfahren - so sind sie am Ende sturzbetrunken und ich wundere mich, wie das sein kann... Dummes Gerede - tut mir leid, anders kann ich es nicht nennen - und ich hoffe, es ist bald vorbei. 
Ich bekomme eine 
sms von Aurora - sie schreibt, sie kann nicht mit in die Bar kommen. Oh... Also sitzen wir bis gegen 23 Uhr mit diesen Männern, die uns dann auch noch überreden wollen, mit ihnen in eine Bar zu gehen. Flehend schaue ich Lily an, sage ihr, daß ich lieber junge, attraktive Männer - Ausländer? - sehen möchte und kann sie am Ende überreden, mit mir in die Bar zu gehen.

Als wir die Jazzbar betreten, ist sie relativ leer. Es gibt eine Bühne, auf der drei Musiker spielen und bei dieser Musik durchfährt mich ein Gefühl von Glück. Wir setzen uns und klatschen laut, als das erste Lied vorbei ist. Der Saxophonist lächelt erfreut zu uns hinüber, das gleiche wiederholt sich nach den nächsten Stücken. Als sie mit dem Spielen fertig sind, kommt er an unseren Tisch und wir unterhalten uns sehr gut. Er heißt Kevin, ist sehr nett - ehrlich gesagt bin ich sehr überrascht, als er mir sagt, daß er Amerikaner ist. Kevin lebt seit fünf Jahren in China, zuerst war er in Shanghai und hat dann die 
GroovZ-Bar in Xi'an aufgemacht. Danke dafür...

Am Sonntagnachmittag ziehe ich um. Lily hilft mir, und als wir gerade aus dem Tor gehen, hören wir eine Stimme. Es ist der Wächter, der schreit und sehr böse aussieht. Ich sage, daß wir einfach weitergehen, ein Taxi anhalten und losfahren. Aber Lily läßt sich auf den Mann ein, geht zurück. Und ich stehe da mit dem schweren Gepäck... Später erklärt sie mir, daß der Mann dachte, wir seien Diebe. Er ist so wütend! Ich gehe wieder hinein, ziehe Lily förmlich aus seinem Zimmerchen. Sie muß etwas unterschreiben und nun sind auch wir beide wütend. Später können wir eigentlich nur noch darüber lachen - eine Ausländerin, die am hellichten Tag zusammen mit ihrer chinesischen Komplizin einen Rucksack, eine Plastikschüssel mit Kleiderbügeln und andere kleinere, gut gepackte Taschen bzw. Tüten klaut!
Wir fahren mit dem Taxi zuerst zur Schule, um Lao Su abzuholen. Noch denke ich, es ist wegen des Schlüssels und verstehe eigentlich nicht ganz, warum den nicht Lily hat. Als wir vor dem Tor der Wohnanlage halten, kommt mir alles irgendwie bekannt vor. Ich glaube, daß hier der ältere Deutsche gewohnt hat, und als wir dem Haus näher kommen, bin ich mir fast sicher - als wir die Wohnung betreten, weiß ich es. Zunächst wird mir - ich habe mein Gepäck noch nicht abgestellt - als erstes erklärt, wie ich in den verschiedenen Zimmern das Licht anschalten kann. Als ich nach den wichtigen Dingen frage (z.B., wie das heiße Wasser funktioniert), werden mir weitere Lichtschalter erklärt. Aha... 
Die Wohnung ist eigentlich okay, aber alles ist so zugemölt und ich spüre, daß ich mich hier nicht zu Hause fühlen werden kann. Es ist komisch zu wissen, wer hier eigentlich wohnt - und das Gefühl zu haben, daß sie eigentlich gar nicht richtig ausgezogen sind und die ganze Angelegenheit eher eine Notlösung zu sein scheint. Ich bin glücklich, als ich entdecke, daß ich in meinem Zimmer einen Computer mit Internetanschluß habe, muß aber erst alles zusammenbasteln und den Hauptstecker so in bzw. an der Steckdose befestigen (mit Klebestreifen), daß der Computer dauerhaft Strom hat. Ich hoffe, daß ich das überlebe...
Den Nachmittag verbringe ich damit, sauberzumachen - was wirklich nötig aber nicht überall möglich ist. Überall stehen Staubfänger... Ich versuche auch, es mir etwas gemütlich zu machen, hänge Karten an die Wände, zünde ein Räucherstäbchen aus dem Tempel an und stelle meine Bücher auf den Schreibtisch. Und warte gespannt darauf, daß Lily mit meinem neuen Mitbewohner ankommt.
Es ist schon relativ spät, als es an der Tür klingelt. Da Timo, so heißt der neue Chinesischstudent aus Stuttgart, sehr müde ist, gehen Lily und ich allein in ein sehr nettes Sichuan-Restaurant um die Ecke. Wir bestellen, das Essen ist scharf und Mao schaut uns von der Wand herunter zu.